Wie in Assessment-Centern (ACs) Potenziale vernichtet werden
Nebulöse Bewertungskriterien, schlechte Briefings und das Gefühl von Macht bei den Beurteilenden kennzeichnen häufig noch den Alltag. Trotz freundlichem Umgang mit Auftraggeber und Kandidaten werden zu gern Urteile gesprochen, die Karrieren verbauen.
Das Dilemma beginnt oft mit der Frage des Kandidaten an den Gutachter „Was erwarten Sie denn von mir?“ Die stereotype Antwort „Das werden wir Ihnen nicht sagen.“
Gerade bei Kandidaten, bei denen u.a. Leistung entsteht, weil sie sich positives Feedback aus der Erfüllung von Erwartungen anderer erhoffen, entwickelt sich hier erstmals eine Anspannung, die sich zum Teil dramatisch auf die „Übungen“ innerhalb eines ACs auswirkt. Sie können Erwartungen nicht gerecht werden, weil sie ihnen schlichtweg unbekannt sind. Also betreiben sie häufig „trial and error“. Ein gefundenes Fressen für begutachtende „Psychologen“. Interpretieren sie ein solches Verhalten doch häufig zu gerne als fehlenden eigenen Leistungsvorsatz – was ja im Verhalten deutlich zu erkennen ist. (Costa und McCrae lassen grüßen) Und genau das wirkt sich sehr negativ in der abschließenden Beurteilung aus. Denn es wurde ein Verhalten erwartet, das darauf schließen lässt, dass der Kandidat eigene Leistungsvorsätze entwickelt hat. Nicht beobachtet – keine Eignung als Führungskraft.
Ironischerweise haben gerade diese „Gutachter“ durch ihr eigenes Verhalten dafür gesorgt, dass ein Kandidat in diesem Punkt „durchfällt“.
Was ist so schlimm daran, den Kandidaten die Erwartungen mitzuteilen? Vielleicht weil dann ein erwünschtes Verhalten gezeigt werden kann? Oder wird gar Herrschaftswissen eingebüßt?
Jeder drittklassige Psychotest enthält Elemente, die dabei helfen, sozial erwünschtes Verhalten zu entdecken. Wo sind an dieser Stelle die „gut geschulten Beobachter“?
So stellen die „geschulten“ Beobachter das nächste große Problem dar. Nach welchen psychologischen Modellen wurden sie geschult? Fragen Sie doch einfach mal einen Beobachter, wie er Führung definiert oder auf welche Definition er sich bezieht und wie das im AC abgebildet wird.
In den seltensten Fällen haben die gut geschulten Beobachter selber mal geführt. Ohne Erfahrungen artikulieren sie Erwartungen. Häufig ist es allein die Lust, andere Menschen zu bewerten, die jemanden zum Gutachter in AC s macht. Beobachtetes Verhalten mit Ergebnissen aus „Tests und Analysen“ zu korrelieren ist definitiv kein Hexenwerk. Die Herausforderung liegt in der Interpretation der Ergebnisse. Hierfür bedarf es transparente Maßstäbe. Und die darf der Kandidat ja nicht wissen. Gibt es sie vielleicht gar nicht?
Anders sein geht nun mal gar nicht. Zeigt ein Kandidat ein Verhalten, das zwar anders ist, aber unter moderneren Bewertungsmaßstäben sehr gut funktioniert, geraten viele Beobachter gänzlich durcheinander und tendieren in der Abschlusskonferenz gerne gemeinschaftlich ablehnend. Fehlen doch allen Beteiligten hier die Maßstäbe. Gerade in den Abschlussrunden findet häufig eine Entscheidungsbildung statt, die durch den Konsens der Unwissenden getrübt ist. In der beruhigenden Gewissheit, dass der Auftraggeber „Mehrheitsentscheidungen“ eine Legitimität zuspricht.
Allzu oft wird noch die „generische“ Führungskraft gesucht. Der Universalführer, der sowohl kommunikativ hoch eloquent als auch durchsetzungsstark ist. Eingesetzte Kompetenzmodelle sind nicht vom „Markt her“ formuliert, sondern bauen noch auf Schlüsselqualifikationen. Wem da eine fehlt, der ist untendurch. Dabei stellt die Praxis ganz andere Anforderungen an einen Leiter Controlling als an einen Marketingleiter. Auch der CEO eines Paketservices wird ein anderer sein als der eines Hightech Betriebes. Ein anderes Kompetenzmodell kann hier mal betrachtet werden: http://www.hamburger-schule.net/modelle/kompetenzmodell/
Den AC Betreibern hier alleine den „schwarzen Peter“ zuzuschieben wäre falsch. Häufig weiß der Auftraggeber nicht, wen er warum will und gibt diffuse Briefings.
Doch die guten Kandidaten werden rar. Wer den „schwarzen Reiter“ bekommt, wechselt in der Regel das Unternehmen. Hier wird er ja nichts mehr.
Nachbemerkung
Nun bin ich seit 16 Jahren selbstständig und muss mich keinem AC s mehr aussetzen. Meine Kunden erzählen mir jedoch von Ihren Erfahrungen und ich lese nur zu gerne die „Bewertungen“. So ist dieser kurze Beitrag vielleicht nur da, um eine Stimme für die „Verkannten“ zu sein.
Denn eines kann ich mit Gewissheit aus Erfahrung sagen: Alle, die im AC schlecht bewertet wurden, aber tatsächlich über Potenzial als Führungskraft verfügten, haben woanders eine glänzende Karriere gemacht. Woanders – das sind die Orte an denen nachgedacht wird.
Nicht vergessen werden darf, dass es auch sehr gute ACs gibt.
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