Geld allein wird niemals glücklich machen – auch im Einzelhandel nicht

Auch der Einzelhandel hat Probleme mit dem Nachwuchs. Es fehlen die Azubis. Die Lösung der Schwarz Gruppe, zu der auch Lidl gehört: Dann gibt es einfach mehr Geld. (22.10.19. Focus online /Welt)
Das Gehalt muss stimmen. Das ist seit Herzbergs Hygienefaktoren bekannt. Und: JA – Geld kann glücklich machen, wenn Sie ein starkes STATUS Motiv haben. Ansonsten ist Geld für unsere Motive nur ein Mittel zum Zweck. Mit Geld kann ich mir Freiheit, Abwechslung oder auch Einfluss kaufen. Nur mit menschlicher Nähe und Beziehungen funktioniert das nicht wirklich.

Der (noch nichts ahnende) zukünftige Azubi wird mit Geld zur Arbeit in der Filiale gelockt. Denn wer noch bei den Eltern wohnt, kann mit dem Geld eine Menge machen.
Doch wie sieht die Wirklichkeit für einen Azubi im Lebensmittel Einzelhandel aus? Die theoretische Prüfung zur Fachkraft im Einzelhandel erfordert u.a. Grundkenntnisse in Marketing und BWL. Davon wird „auf Fläche“ absolut nichts gebraucht. Wozu habe ich das alles gelernt? Kunden beraten – das wollte ich – Kartons ausräumen – das musste ich.
Der Tag in der Filiale eines Discounters ist normiert. Es ist nahezu alles geregelt. Bei soundso viel Personen eine zweite Kasse aufmachen … Die Warenwirtschaft ist weitestgehend automatisiert. Also sitzt man an der Kasse oder ist auf Fläche Ware vorziehen, reinigen, u.ä.
Und das jeden Tag. Und danach wieder. Die 6 Tage Woche in Verbindung mit Schichtdienst fördert noch die Attraktivität. Die körperliche Belastung hinterlässt ebenfalls Spuren.
Obgleich die Leitlinien Prospekte der Einzelhändler in Hochglanz die Entfaltungsmöglichkeiten und die Zusammenarbeit loben, ist in der Filiale meist nichts davon zu spüren, sondern lediglich „Hierarchie“ und Verwaltung.
Um es kurz zu machen: Auch ein Azubi möchte sich auf der Arbeit wohlfühlen. Wenn es nur darum geht, Geld zu verdienen, wird die Aussicht auf ein höheres Gehalt als anderswo sicherlich Gewicht haben.
Und ein Gutes hat das Handeln der Schwarz Gruppe: Da die Zustände im Einzelhandel allgemein mies sind, kann dem Wettberber das Personal abgeworben werden. Wenn schon, dann wenigstens gut bezahlt.
… Halt, es wird ja zusätzlich mit Karriere gelockt: Sie können Filialleiter werden. Das stimmt. Wer bereit ist, sich durch die Hierarchie einer Filiale zu kämpfen, macht Karriere. Doch nicht jeder findet eine Führungsposition attraktiv. Und was kommt eigentlich danach?
Grau ist alle Theorie. Nachfolgend ein paar Verbesserungsvorschläge, die aus Interviews von Betroffenen entstanden sind und die wirklich keine großen Kosten verursachen. Einige wenige davon sind bereits bei unterschiedlichen Händlern realisiert worden.

Lösungen für den Lebensmittel Einzelhandel, um Azubis besser zu binden
Schichtplanung professionalisieren
Große Probleme sind hier die Gerechtigkeit der Planung, die planbare Freizeit und der freie Samstag.
Moderne Software (Für die Jüngeren: eine app) ist nur selten im Einsatz. Gerechte Schichtplanung ist heute problemlos möglich und sollte nie der Willkür der Filialleitungen unterliegen. Hilfreich für die Planung wäre es, das vorhandene Budget für mehr Personal einzusetzen. Unterbesetzung killt die planbare Freizeit.
Anm.: Bei inhabergeführten Unternehmen kommt es häufig vor, dass jemand erst am Samstag erfährt, wann er am Montag arbeiten muss. Diese Mitarbeiter warten nur darauf, zu wechseln, trauen sich meist nur nicht.

Keine Arbeit nach der Berufsschule
Direkt im Anschluss an den Unterricht noch zu arbeiten ist durchaus keine Seltenheit. Besonders bei inhabergeführten Unternehmen und Genossen.

Wissen vermitteln
Viele Azubis wollen lernen. Nicht nur um voranzukommen, sondern weil es sie emotional befriedigt. Obgleich manche Zentrale reichhaltige Angebote im Portfolio haben, heißt das nicht, dass ein Azubi oder Mitarbeiter diese Angebote auch nutzen darf. Eine Filialleitung kann da schnell mal abblocken.
Auch Azubis wollen Zusammenhänge im Einzelhandel verstehen und zu den Produkten etwas sagen können. Es ist für viele beschämend, dem Kunden lediglich als „Wegweiser“ zu dienen.

Ein Ansprechpartner mit Zeit
Gespräche mit Azubis finden oft zwischen „Tür und Angel“ statt. Es ist eine Frage der Wertschätzung, wieviel Zeit dem Azubi gewidmet wird.

Verantwortung übernehmen lassen
In dem Moment, wo jemand etwas verantworten darf, beginnt er in der Regel, sich damit zu identifizieren. Vom Aufbau bis zur Retoure, Non Food oder Backabteilung bieten sich unzählige Möglichkeiten, Azubis Verantwortung übernehmen zu lassen.
Auch die so genannten „Azubi-Filialen“, die (mit Einschränkungen) komplett von Azubis betrieben werden, sind noch selten oder schlichtweg zu weit entfernt.

Auslandsaufenthalte
Dieser Wunsch mag zunächst merkwürdig erscheinen. Doch verbinden Azubis damit die Möglichkeit, unterschiedliches Führungsverhalten kennen zu lernen und andere Verhaltensweisen gegenüber Kunden. Die großen Gruppen im Handel könnten so etwas leicht abbilden.
Synergie erfordert die Durchlässigkeit von Systemen.

Fördern und Entwickeln ist Aufgabe der Führungskraft

Wer glaubt, Mitarbeiter zu Fördern und zu Entwickeln ist Aufgabe der „Personalentwickler“, irrt sich gewaltig. Nicht nur unsinnige Mitarbeitergespräche, sondern auch das Vertrauen in Führung und somit in das Unternehmen sind eng verbunden mit einer „falschen“ Auffassung dieser Führungsaufgabe.

Bisweilen liegt die Vermutung nah, dass so ein Mitarbeitergespräch lästig ist. Einmal im Jahr muss die Führungskraft sich mit ihrem Mitarbeiter beschäftigen. So wurde es angeordnet.
In modernen Zeiten sind die Resultate eines solchen Gesprächs auch noch digital zu hinterlegen. Für den Komfort gibt es ja eine App.
Der Sinn solcher Gespräche wurde schon oft hinterfragt. Handelt es sich dabei doch meist um einen Versuch des Unternehmens, einen Teil von Führung zu operationalisieren und „überwachbar“ zu machen. Das Gespräch „muss“ geführt werden. So wird eine Datenbasis geschaffen, um den Personalentwicklern im Unternehmen etwas zu tun zu geben.

Doch warum handeln viele Unternehmen so?
Womöglich mangelt es an Vertrauen. Wer der Führungskraft nicht zutraut, dass sie ihre Mitarbeiter führt, wird Führung verordnen. Und das schließt das Bewerten von Verhalten und Ergebnissen der Mitarbeiter, sowie die „Förderung und Entwicklung“ mit ein. Im Mitarbeitergespräch findet die Bewertung (induktiv) formalisiert statt – „Fördern und Entwickeln“ ist dann Sache der Personaler.
Eine Führungskraft, die „Führen“ kann, darf und will, wird permanent im Blick haben, ob ein Mitarbeiter das Vereinbarte leistet, wie es ihr/ihm geht und wie es anderen mit ihm/ihr geht. Da ein gut ausgebildeter und sich „gut führender“ Mitarbeiter einfach bessere Ergebnisse ermöglicht.
Einmal im Jahr ein Gespräch zu führen reicht einfach nicht und muss so auch gar nicht sein.
Leider fehlt vielen Führungskräften dafür schlichtweg die Zeit, um die eigenen Mitarbeiter zu fördern und zu entwickeln. Sie fordern diese Zeit in der Regel jedoch auch nicht ein. Wozu auch, wenn es niemanden interessiert. Denn auch im Mitarbeitergespräch, das diese Führungskraft mit ihrem Vorgesetzten führt, wird das „Fördern und Entwickeln“ meist nicht thematisiert. Ist halt Sache der Personaler.

So einfach die Forderung auch ist, liegt das eigentliche Problem womöglich ganz woanders:

    1. Kann die Führungskraft das überhaupt – Fördern und Entwickeln? Wie geht das eigentlich?
    Oft fehlt es an der fachlich-methodischen Kompetenz, um dieser Führungsaufgabe nachzugehen. So ein wenig Coach und ein wenig Trainer müsste eine Führungskraft schon draufhaben. Dem Ganzen geht ein „Messen und Bewerten“ von Verhalten und Leistung voraus. Das geschieht meist induktiv, d.h. aus dem Bauch heraus. Transparente Kriterien (deduktiv) anzuwenden bedarf der Übung.

    2. Will die Führungskraft das auch – Fördern und Entwickeln? Wer das tut, muss sich mit dem Menschen beschäftigen, mit Konflikten u.v.m. rechnen und auch die Erfahrung am eigenen Leib gemacht haben, dass das eine gute Sache ist. Nicht nur für das Unternehmen.
    Gut ausgebildete Mitarbeiter verlassen den eigenen Bereich, werden befördert oder wandern vielleicht zur Konkurrenz ab. Es gehört ein hohes Maß an persönlicher Kompetenz dazu, jemand anderen zu fördern und zu entwickeln. Und es sollte „Spaß“ bringen.

    3. Darf die Führungskraft das auch – Fördern und Entwickeln? Formal würde das ja zumindest die „Personalentwickler“ im Unternehmen überflüssig machen. Vielleicht wollen die das ja nicht? Wer hier seinen Führungskräften nicht vertraut, wird es in der Regel nicht wollen.
    Schlimm ist es, wenn es „egal“ ist, ob die Führungskraft das macht. Dann darf sie das zwar tun, doch da es niemanden interessiert, wird es auch nicht honoriert. So wird Führung zum idealistischen Vorhaben.

    4. VERTRAUEN. Ein Mitarbeiter sollte seiner Führungskraft vertrauen können, dass sie ein Maß an Diskretion wahrt, es „gut“ mit ihr/ihm meint und „Fördern und Entwickeln“ auch kann. Nichts ist schlimmer als der rührselige Versuch einer Führungskraft, jemandem etwas beizubringen und dabei zu zeigen, dass man überhaupt keinen Plan hat, wie so etwas geht. (Ein „Meister“ hat zumindest durch die AEVO nachgewiesen, dass er ein wenig Theorie und Praxis zum Ausbilden gelernt hat.) Eine Führungskraft, die das nicht kann oder macht, büßt diesbezüglich schneller an Vertrauen ein, als Vertrauen aufgebaut werden kann.

Nun soll alles modern, agil und selbstorganisiert sein. Die moderne Arbeitswelt stellt höchste Anforderungen u.a. an die persönliche und sozio-kommunikative Kompetenz. Die Führungskraft „vor Ort“ hat den besten Einblick in Personen und Anforderungen und Kompetenz-Reifegrad. Was liegt näher, als die Führungskraft für das „Fördern und Entwickeln“ einzusetzen. Dafür müssten Führungskräfte vielleicht dahingehend auch ausgebildet werden und es vor allem wollen. Denn wer das nicht will, will augenscheinlich auch nicht führen …..
So ganz nebenbei steigert das vielleicht auch die Bindung eines Mitarbeiters an das Unternehmen und den Wert der „Marke“ Unternehmen.

Eine Abteilung „Personalentwicklung“ hätte dann nur noch drei Aufgaben:

  1. Themen abzubilden, die nicht zum eigentlichen Repertoire einer Führungskraft gehören.
  2. Die Führungskräfte in allen Belangen des „Fördern und Entwickelns“ zu entwickeln. (Auch die Führungskraft hat eine Führungskraft)
  3. „Fördern und Entwickeln“ strukturell zu organisieren. Z.B. Management der „Potentials“, der verbindenden Prozesse udgl.

Was machen denn die anderen?

Oder: Warum der Schrei nach Agilität oft nur ein Ausdruck eigener Ideenlosigkeit ist.
Wer im Hinblick auf die Zukunft ideenlos ist, wartet ab, was die „first mover“ machen.
Um dann als „second mover“ möglichst schnell Boden gut zu machen, muss das Unternehmen „agil“ sein.

Zu radikal gedacht? Auf welche mögliche Zukunft bereiten sich deutsche Unternehmen vor?
Wer hier spontan keine Antwort parat hat, steht vor demselben Dilemma: Er hat keine Ahnung, was die Zukunft bringt.
Doch das eigentliche Problem liegt nicht darin, keine Ahnung zu haben – hellseherische Fähigkeiten sind beim besten Willen nicht nötig – die einfache Frage „Für welches Problem ist Agilität in unserem Hause eigentlich die Lösung?“ hilft hier schon weiter.
Es ist nicht leicht, die fast schon axiomatisch anmutende Führungsaufgabe des „Auseinandersetzens mit der Zukunft“ wahrzunehmen, wenn es auf breiter Ebene an validen Analyse- und Bewertungsstrukturen mangelt und das eigene Unternehmen nur noch als reaktionsschnelle Ansammlung von Produktionsmitteln gesehen wird. Falls sich die anderen bewegen, sind wir bereit. Immer bereit.

Abwarten und die Last der unsichtbaren Erwartungen
Nun sollen wir agil in einer „vuca“ Welt sein. Am besten innerhalb einer disruptiven Strategie und jeder soll dabei transformational führen und gleichzeitig „passion“ zeigen.
Wer Fachmagazine liest, Vorträge hört – kurz sich informiert, kann schnell den Eindruck gewinnen, dass wohl alle Lösungen haben. Es dabei jedoch vollständig versäumen, das zugehörige Problem zu formulieren oder zumindest ihre Idee von der Zukunft.
Wer sich als Mensch vor dem Hintergrund der medialen Erwartungen bewertet, erlebt oft Frust. Eine  Beruhigung tritt meist ein, sobald geschaut wird „wie geht es denn den anderen?“ Auch nicht besser. Na dann mal weiter wie bisher …

Agilität als kurzfristiges Denken missverstanden
In vielen Unternehmen wurde scheinbar das langfristige normative Denken in Vision, Mission, Ziel, Strategien einem kurzfristigen operativen Denken, also  einem Denken in Maßnahmen geopfert.
Alles in der Hoffnung dadurch agil zu sein. So hat man bewusst in Kauf genommen, dass niemand beurteilen kann, ob es die richtigen Maßnahmen sind, da ja auch niemand die Strategie kennt, geschweige  denn das Ziel. Fehlt das Verständnis von einem Unternehmen als ein Ziel-Strategie-System, bleibt als einziger Maßstab zur Bewertung der „Richtigkeit“ der eigenen Entscheidungen ein Vergleich mit einem Wettbewerber. Was machen denn die anderen? Ach so. Dann sind wir ja gar nicht so schlecht aufgestellt. Na dann mal weiter wie bisher …

Die Marktbegleiter nicht die Wettbewerber lähmen die Bewegung
Es soll Zeiten gegeben haben, da wurde geschaut, was der andere macht, um zu überprüfen, ob der andere endlich wirtschaftlich zurück bleibt – man selbst also erfolgreicher ist. Doch das Wort „Wettbewerber“ erinnerte dann wohl doch zu sehr an „Wettkampf“. Dann lieber von Mitberbern sprechen. Noch zu hart. Dann eben „Marktbegleiter“. Wenn ich dann so schaue, wie mich der andere am Markt begleitet und was der so macht, nehme ich überhaupt nicht mehr wahr, dass es immer noch um Wettbewerb geht und lehne mich entspannt zurück. Nur sollten wir sicherheitshalber agil und vorbereitet sein falls ein Marktbegleiter zum Wettbewerber wird.

Hauptsache wir sind in Bewegung.
Agil heißt ja auch beweglich zu sein. Aufsichtsrat und Aktionäre müssen erkennen können, dass wir etwas tun. Da streichen wir doch mal eine Führungsebene oder strukturieren das zwanzigste mal um. Das sieht dann schön agil aus. Die anderen machen das ja auch so.
Es ist der Mangel an Entscheidungen für emotional attraktive Visionen, neue Geschäftsmodelle, neue Geschäftsideen, uvm., der den Ruf nach Agilität auslöst.
Im Sinne eines lean managements wäre hier einfach zu viel Bewegung drin. Unnötige Agilität ist Verschwendung.
Im Sinne von Management, das Ressourcen zu einer Nutzung zusammen führt, stellt sich die Frage nach der Nutzung von Agilität oder ob Agilität nicht ein Synonym für Management ist.
Strukturell gibt es eine Funktion „business development“, die sich mit Zukunft beschäftigen muss. In der Praxis ist es meist nur Vertrieb und Marketing, d.h. ein spärlicher Ausschnitt des St.Galler Managementmodells und des Marketing Mix s oder anderer Analys- und Bewertungsstrukturen.

Zu guter Letzt
Es gibt sie – die Herdfeuer der Innovation. Zukunft wird getestet und geprobt. Werte werden verzehrt, um eine zukünftige Wertschöpfung zu ermöglichen. So agierende Unternehmen sammeln heute bereits Erfahrung für die Herausforderung von morgen. Diese Unternehmen werden die „first mover“ sein. Die Wettbewerber können diesen Vorsprung auch durch das agilste Verhalten mit Sicherheit nicht wieder gut machen. Doch keine Sorge, dass der „first mover“ zu viel Fahrt aufnimmt – auch ein innovatives Unternehmen kann die fortschrittsfeindlichen Rahmenbedingungen in Deutschland nur schwer beeinflussen.