Wer heute führt, muss „Emotionen“ können.

In der Zeit, als vielerorts ausschließlich virtuell zusammengearbeitet wurde, genügte es, zu moderieren. Emotionen waren in der 2D Welt scheinbar ausgeschlossen. Kommunikation ohne Transport von Emotionen ist auf Dauer dysfunktional.
Mit Putins Krieg, der Nullzinspolitik der EZB, den steigenden Preisen, …, einer veränderten Zukunftserwartung bei gleichbleibender Corona-Perspektive, gehen ebenfalls Emotionen einher, die es zu managen gilt.

Die Notwendigkeit, Emotionen zu managen, ist rasch begründet: Wir sind Menschen und soziale Wesen. Auch den Menschen um uns herum muss es gut gehen, damit wir uns wohlfühlen. (Und weil die Produktivität dadurch beeinflusst wird).

Leider helfen keine „Tools“, Lernvideos oder tolle Hacks. Denn sie nutzen wenig, da sie dem Individuum und der Situation meist nicht gerecht werden. Doch gibt es ein paar hilfreiche, googlebare „Klassiker“, die viele noch aus dem Studium oder aus Aus- und Weiterbildungen kennen.

Klassiker 1 – Maslows Bedürfnis-Pyramide, die ihren Ursprung zur Zeit des zweiten Weltkrieges hat. Hier lassen sich einfache Fragen ableiten, deren Antwort bisweilen sehr erhellend ist:

  • Können unsere MitarbeiterInnen Ihre Grundbedürfnisse (Essen, Schlafen, …) befriedigen?
  • Welche Auswirkungen hat es, wenn ich die Antwort nicht kenne?
  • Was kann ich tun, um den emotionalen Auswirkungen fehlender Bedürfnisbefriedigung zu begegnen?

Ein kleines Beispiel: Eine Medizinisch fachliche Angestellte (MFA) verdient mit 10 Jahren Berufserfahrung ca. 2500,00€ brutto. Das sind bei einer 40 Stunden Woche (*4,3) knapp 15,00 Euro die Stunde brutto. Also 2,50 € Euro über dem künftigen Mindestlohn von 12,50 €. Starten Sie mit der ersten der o.a. Fragen.

Hier schließt sich gleich die zweite Ebene Maslows an: die Sicherheitsbedürfnisse, hier verstanden als Vorsorge und Absicherung gegen etwas. Wer z.B. finanzielle Rücklagen benötigt, um sich zu entspannen, wird in der aktuellen Situation etwas verzweifeln. Manch einer hat schlichtweg nichts mehr übrig, um „vorzusorgen“.
Schon jetzt ist es beobachtbar, das Unternehmen, wie einst Robert Bosch, Firmenwohnungen bauen lassen oder Versicherungen bezahlen.
Für diese und alle anderen Ebenen der Maslow Pyramide können die o.a. Fragen rasch adaptiert werden. Unbefriedigte Bedürfnisse wirken sich auf Zufriedenheit und Motivation aus.

Je besser und je früher ich herausfinde, welche Bedürfnisse meine MitarbeiterInnen haben, desto besser kann ich darauf einhegen. Unbefriedigte Bedürfnisse können zwar teilweise kompensiert werden. Nehmen sie jedoch überhand, zeigen die damit einhergehenden Emotionen ihre kontraproduktive Seite: Sie sind ansteckend.
Maslows Pyramide hilft dabei die richtigen Fragen zu stellen, um etwas zu ändern.

Klassiker 2 –  Die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg (Ende 50er Jahre). Auch wenn die Unterschiede zwischen Motivatoren und Hygienefaktoren etwas unscharf sind, können die Hygienefaktoren als das verstanden werden, was im Kontext der Arbeit wichtig ist, um zumindest nicht-unzufrieden zu sein. Für Zufriedenheit benötigt es zusätzlich der Motivatoren. Hier lassen sich aus Herzbergs Theorie rasch zeitgemäß formulierte Fragen ableiten:

Sind unsere Mitarbeiter „happy“ mit:

  • Ihrem Gehalt?
  • dem Verhalten der Führungskräfte?
  • den Arbeitsbedingungen?
  • Den Beziehungen zu Mitarbeitern und Vorgesetzten?
  • Sicherheit des Arbeitsplatzes?
  • Der Work-Life-Balance?


Wenn z.B. das Gehalt nicht stimmt (s.o.) entsteht eine latente Unzufriedenheit. Das muss sich kurzfristig nicht in „weniger“ Leistung zeigen. Es gibt einen Arbeitsvertrag. Wer jedoch Möglichkeiten hat, wird sein Engagement an das Gehalt anpassen. Eigentlich eine „Trotz-Reaktion“.

Auch die eher auf den Arbeitsinhalt bezogenen „Motivatoren“ sind geeignet, um daraus weiterführende, zeitgemäße Fragen abzuleiten.

Bsp.: Wie steht es bei meinen MitarbeiterInnen um:

  • Anerkennung?
  • Verantwortung?
  • Karriere und Wachstum?
  • Leistung und Erfolge?
  • Arbeitsinhalte?

Herzberg, der zusätzlich zum Individuum den Kontext heranzieht, ist ebenso wie Maslow geeignet, um über emotionale Bedürfnisse und Auswirkungen der Nicht-Befriedigung etwas fundierter nachzudenken oder moderner ausgedrückt, zu reflektieren.

Klassiker 3 – die x/y/(z) Theorie von Douglas McGregor. In den 50er Jahren entstanden, aber immer noch hochaktuell. Basiert seine Theorie doch auf zwei einfachen Annahmen, die die Sicht auf die MitarbeiterInnen und damit auch deren Emotionen noch heute beeinflussen:
„Sehe ich meine MitarbeiterInnen als faul und unreif an?“ oder „Sehe ich meine MitarbeiterInnen als leistungsbereit und ehrgeizig an?“ Beide Sichtweisen (besser: Beide Menschenbilder) haben ein unterschiedliches (Be-) Handeln zu Folge.
Das Menschenbild, also wie wir andere sehen, was wir über sie denken und annehmen, hat einen entscheidenden Einfluss auf den Umgang mit den entsprechenden Menschen und damit auch darauf, wie sich dieser Mensch fühlt.

  • Welches Menschenbild habe ich von MitarbeiterInnen, Führungskräften, Kunden, meinem Team?
  • Wie wirkts sich mein Menschenbild auf die Emotionen anderer und meine eigenen Emotionen aus?

Klassiker 4 – Fragen statt Annahmen.
Erstaunlich ist, dass die meisten von uns Entscheidungen gerne aufgrund von Annahmen treffen anstatt einfach mal zu fragen, wie es jemandem (mit etwas) geht … .
Entweder ist jemand anderes einem nicht wichtig oder die Angst vor der Antwort ist zu groß.
Das „Johari-Fenster“ lässt hier grüßen

Was ist nun das Management von Emotionen?

Emotionen beeinflussen unser Verhalten. Das kann je nach Situation förderlich oder hinderlich sein. Emotionen zu managen heißt vereinfacht:
Emotionen wahrzunehmen, über Ursachen und Zusammenhänge nachzudenken (da helfen o.a. „Klassiker“) und im Rahmen der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten so zu handeln, das bestmöglich ein Interessensausgleich zwischen den unternehmerischen Interessen (mehr €), den Interessen der MitarbeiterInnen und KollegInnen und den eigenen Interessen stattfindet. Wer Emotionen „managed“ muss also zwangsläufig auch „Konflikte“ können und leider bei sich selbst beginnen. Was mitunter recht anstrengend sein kann.

* (die Wissenschaftlichkeit wird hier nicht betrachtet, sondern allein der handwerkliche Nutzen)

In den meisten Coachings wird nichts gelernt

Der Gang zum Coach hört nicht auf. Die siebente Sitzung ohne sichtbare Veränderung. Der Coach ist mega sympathisch – die Rechnung zahlt ohnehin die Firma. Das kann daran liegen, dass einfach nichts gelernt wurde, weil der Coach nur Tools und Fragen im Repertoire hat und sich sein Coaching eher wie „trial and error“ gestaltet.

Martin Wehrle, Karriere Coach, weiß von Anfängern im Projektmanagement: „Die unerfahrene Projektleiterin wächst, wenn Sie sich in eine Erfahrene hineinversetzt; indem sie so tut, als hätte sie schon Erfahrung, sammelt sie Erfahrung.“*  Das geht einher mit einem Bündel an hypothetischen Fragen. So ist im gleichen Artikel zu lesen: „Was glaubst Du denn, was genau Du als erfahrene Projektleiterin bei Terminschwierigkeiten tätest?“

Auf diese Frage kann es als Antwort entweder „Das wüsste ich auch gerne – deswegen lasse ich mich ja coachen!“ geben oder in der Tat so etwas in der Art wie „dann haue ich mit der Faust auf den Tisch!“ (Wie meine erfahrene Kollegin) An dieser Stelle freuen sich die meisten NLP durchdrungenen Coachs und ringen ihrem Kunden ein „Commitment“ ab – „dann lassen Sie uns doch vereinbaren, dass Sie das mal machen – in der nächsten Sitzung besprechen wir das weiter.“ Auch im Sinne des dvct e.V. ist das ein erfolgreiches Coaching.

Doch leider hat der Coachee (m/w/d) weder etwas über sich, über Führung, Konflikte/Kommunikation oder Teams gelernt. Er geht mit einer vom Coach herbeigehypothetisierten Lösung zurück in sein Projekt-Team. Hier kann es jetzt passieren, dass der Coachee absolut nichts unternimmt, da er zwar kognitiv eingesehen hat „ich sollte mich da mal durchsetzen“ – emotional ist die Lösung jedoch recht unlustig. Oder geht es vielleicht so? Indem die Projektleiterin so tut, als würde ihr es persönlich Spaß machen, wird es ihr auch Spaß machen. Da muss Herr Wehrle wohl tief in seine „Coaching-Schatzkiste“ greifen.

* managerseminare, Heft 274, Januar 21, S.51 Titel: Kompetenz herbeifragen

Menschenbild von Coachs erinnert häufig an Dressur

Coaching ist bisweilen nichts anderes als Therapie von Gesunden. Gesunde müssen dann therapiert werden, wenn sie nicht im Sinne des Unternehmens funktionieren. Die Art, wie das erreicht werden soll erinnert stark an Dressur und verträgt sich so gar nicht mit dem Bild eines „selbstorganisierten“ Menschen.

Der promovierte Zoologe/Philosoph, „Hirnforscher“ und frischgebackene Coaching Experte, Professor Gerhard Roth unterscheidet gar nicht erst zwischen Coaching und Therapie. „Um Verhaltensänderungen zu erreichen, können sich Coachs der klassischen Verhaltenstherapie bedienen – insbesondere Methoden der operanten Konditionierung.“
(Ryba/Roth Trainingaktuell | November 2020)

Jeder Therapie geht eine Diagnostik voraus. So sind behandlungsbedürftige Problematiken wie zum Beispiel eine Depression, ein Burnout oder eine Angststörung einheitlich beschrieben.
Wie verhält es sich nun bei „Gesunden“? Wo sind dort die Problematiken beschrieben und in welchem Zusammenhang stehen sie zum weiteren Vorgehen? Was diagnostiziert ein therapierender Coach da?
Die Antworten mögen an dieser Stelle enttäuschend sein:

  1. Es sind oft die aus der Therapie bekannten Problematiken. Zu gern werden hier von Coachs Glaubenssätze, Angststörungen, Blockaden und ähnliches bei Gesunden diagnostiziert und „behandelt“. Was auch rechtlich fragwürdig ist. Es fehlt mind. ein Heilpraktikerschein.
  • Der Coach hat bestimmte Idealvorstellungen, wie denn Persönlichkeit, Zusammenarbeit, Führung, Kommunikation udgl. abzulaufen haben und stellt Abweichungen von seinem Bild fest.
  • Der Auftraggeber kennt die Probleme und nutzt den Coach als Führungskraftersatz bzw. als Instrument seines Willens. Der Coach führt die Probleme wieder auf a) oder b) zurück.
  • Eine Diagnose entfällt ganz. Der Coach erfragt lediglich Daten und Fakten und coacht den Kunden, um ein Ziel zu erreichen, doch ohne das Problem zu kennen.

Aus der „Diagnose“ entsteht die Art der Therapie bzw. in diesem Fall das Coaching. Jetzt werden „Methoden der operanten Konditionierung“ zum Einsatz gebracht. Erwünschtes Verhalten wird in der operanten Konditionierung z.B. belohnt. Spätestens an dieser Stelle sollte der Begriff „Dressur“ einleuchten.
Tipp: Bei der Konditionierung haben sich übrigens auch Tokensysteme mit Gummibärchen (Belohnung) gut bewährt.
Anm.: Ryba und Roth stehen hier in bester „behavioristischer“ Tradition. Verhalten soll vorhergesagt und kontrolliert werden können. NLP.

Doch nicht nur die Methodik von Roth ist auf Dressur ausgelegt. Auch die Beziehung zwischen Coach und Kunde findet Beachtung: „Hier spielt die Coachingbeziehung eine wichtige Rolle, da bei der Begegnung mit einem empathischen und vertrauenerweckenden Coach Oxytocin ausgeschüttet wird, wodurch Ängste gedämpft werden. Außerdem werden über eine Ausschüttung endogener Opioide und einen Anstieg des Serotoninspiegels Wohlbefinden und generelle Beruhigung gefördert.“ (Ryba/Roth, Trainingaktuell | November 2020)


Anm.: Im Gehirn bewirkt Oxytocin u.a. die sexuelle Erregung, das Bindungsverhalten und die mütterliche Fürsorge für das Neugeborene nach der Geburt.
Anm.: Empathie bedeutet immer ein „Mit-Leiden“. Eine „unbefangene“ Diagnose ist so meist nicht möglich.

Für die Dressur muss sich ein Coach demnach bei seinem Kunden „einschleimen“ (er bekommt dafür Geld), um dessen Wohlbefinden und generelle Beruhigung zu fördern. Im Therapie-Coaching passiert also etwas, was dem Kunden ohne Oxytocin wohl nicht gefallen würde.
Im therapeutischen Coaching ist diese starke Bindung notwendig, damit der Kunde seinem Coach bereitwillig folgt, obgleich er als gesunder Mensch therapiert oder umprogrammiert wird.

Wie bei der Menschenführung ist auch im Coaching das Menschenbild von entscheidender Bedeutung, da es grundsätzlich den Umgang mit Menschen beeinflusst.

Ein „Coaching“ genannter Dressur Akt zeugt von einem Menschenbild, das Menschen weder zutraut sich selbst zu diagnostizieren, nachzudenken und zu lernen, sondern die Person des Coachs als richtungsweisende Instanz etabliert.

Quick Check:
Welches Menschenbild haben Sie als Coach und woran ist das in Ihrem Verhalten zu erkennen?