Hypothesenbildung
Eine Hypothese ist zunächst einmal nichts anderes als ein „Annahme“. Im Coaching ist die Hypothese eine Annahme, womit das „Problem“ des Coachee oder des Teams zusammenhängen könnte. Aus dieser Annahme erwächst eine Handlung des Coachs. Das gilt zunächst einmal für alle Verständnisse von Coaching.
Die Art und Weise der Hypothesenbildung hat jedoch einen entscheidenden Einfluss auf das Coachingverständnis:
- Bildet der Coach Hypothesen aufgrund seiner Lebens-und Berufserfahrung (Betonung der Feldkompetenz oder Expertise in einem bestimmten Thema), wird er einen Weg finden wollen, seinem Coachee seine Erkenntnisse zu vermitteln.
- Bildet ein Coach Hypothesen indem er anhand von Modellen oder Theorien den Coachee in seinem Verhalten bewertet, wird er einen Weg finden wollen, den Coachee im Sinne seiner Diagnose zu Besserung zu verhelfen.
- Bildet ein Coach Hypothesen indem er sich fragt, mit welchen Modellen, Theorien oder Strukturen das vom Coachee Gehörte zusammenhängen könnte und bietet er diese im Rahmen eines Prozesses so an, dass sein Coachee sich mit Ihrer Hilfe selbst bewerten kann, nutzt er einen Weg, der dem Coachee hilft, sich selbst zu helfen.
Wer den Konstruktivismus als Tatsache akzeptiert, ist sich bewusst, dass jede Erfahrung des Coachs mit einem Thema, jede Bewertung des Coachee oder seines Verhaltens oder der Situation des Coachee durch den Coach eine „konstruktivistische“ Interpretation ist. Es besteht die Gefahr, dass der vom Coach gewählte Weg den Coachee beeinflusst.
Aus diesem Grund ist es notwendig (Wert: Freiheit), als Coach bestmöglich seinen eigenen Konstruktivismus zu berücksichtigen.
In einem systemisch-konstruktivistischen Coachingverständnis werden Hypothesen dazu verwandt, dem Coachee auf einer abstrakte/deduktiven Ebene das Erkennen von Ressourcen zu ermöglichen.
Diese Ressourcen benötigt er zum Erreichen seines Ziels (Phase 3.3. im Coachingprozess).
Zur Hypothesenbildung nutzt der Coach wissenschaftlich überprüfbare Modelle (nicht alle veröffentlichten Modelle und Theorien werden geprüft).
Der Coach hört dazu seinem Coachee in Phase 1 und 2 des Coachingprozesses aufmerksam zu und vergleicht die gehörten Wörter mit Wörtern aus ihm bekannten Modellen oder Theorien. Findet er ein, dem Wortstamm nach identisches (nicht durch ihn gedeutetes) Wort, kann er die Hypothese bilden, dass das betreffende Modell bzw. Theorie eine Relevanz für die Ressourcenidentifikation in Phase 3 hat.
Je öfter gehörte Begriffe bestimmten Modellen oder Theorien dem Wortstamm nach zugeordnet werden können, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Coachee dieses hypothesengeleitete, abstrakte Angebot annimmt und daraus Erkenntnisse ableitet. Er hat die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob das Angebot mit seinem Thema zu tun hat und was das Angebot mit seinem Thema zu tun hat.
Es geht darum, auf die eigene Deutung des Themas als Coach bewusst zu verzichten und möglichst präzise Hypothesen zu bilden, damit der Coachee sie mit seinem Thema in Verbindung bringen (andocken) kann.