Das Kommunikationsmodell im systemisch-konstruktivistischem Coaching
Das Kommunikationsmodell der Neuen Hamburger Schule ermöglicht einen konstruktivistischen Blick auf das Thema Kommunikation, um das eigene Kommunikationsverhalten kontextbezogen zu reflektieren und ggf. Veränderungen abzuleiten. „Ideale Kommunikation“ beruht im Sinne des Modells auf gemeinsamen Werten, die im Modell durch die „Schnittmenge“ strukturiert dargestellt sind.
Die Besonderheiten
Einheit von Sender und Empfänger
Als soziale Wesen kommunizieren wir pausenlos. Nur oft nicht bewusst und oft nicht mit Worten. Wir empfangen und reagieren auch auf Botschaften, die durch Gerüche, Farben, Muster und Formen ausgedrückt werden und möglicherweise gar nicht an uns interessiert sind. Sie beeinflussen unsere „Stimmung“ und drücken sich wiederrum körpersprachlich aus.
Konstruktivistische Identität von Sender/Empfänger
- der ihm zur Verfügung stehenden Sensorik (Güte der biologischen Sinne)
- seinen verfügbaren kognitiven Strukturen (Leistungsfähigkeit der Datenverarbeitung im Gehirn)
- seiner bisher gemachten emotionalen Erfahrung (emotionale Referenz zur Bewertung)
- seinem reflektierten Wissen wahr (Erfahrungsschatz für erfolgreiches, kontextbezogenes Verhalten)
- seinen sprachlichen Möglichkeiten
wahr.
Diese Wahrnehmung (Empfänger) wird verarbeitet (emotional bewertet) und führt zu einer sprachlich und körperlich beobachtbaren Reaktion, dem Senden.
Konstruktivistische Interpretation und Erwartungen
Erwartungen können das Resultat von Priming sein, d.h. einer bewussten oder unbewussten Beeinflussung der Wahrnehmung durch einen initialen Deutungskontext.
Kommunikation kann in diesem Sinne auch als interaktives Erwartungsmanagement bezeichnet werden.
Die „Schnittmenge“
Jeder Mensch hat eine Vorstellung davon bzw. eine Erwartung, was ihm in der Kommunikation mit dem Anderen emotional von Wert bzw. wichtig ist.
Der Kreis symbolisiert den Kontext, der aus dem, was einem bzw. dem anderen persönlich in der Kommunikationssituation wichtig ist, gebildet wird. Die Elemente in der Schnittmenge bieten eine Struktur, um die eigenen Erwartungen und die des Anderen zu identifizieren, Abweichungen wahrzunehmen und zu reflektieren.
Die Elemente der Schnittmenge
Die Elemente der Schnittmenge stehen zueinander in einer (logischen und in einer konstruktivistischen) Beziehung. Jedes Element kann für sich und in Beziehung zu allen anderen Elementen betrachtet werden.
Thema
- „Welches Thema ist Ihnen wichtig – welches den/dem Anderen?“
- „Was ist Ihnen in Bezug auf das Thema von Bedeutung bzw. wichtig oder von Wert/wertvoll – was dem anderen?“
- „Welche Facetten es Themas sind für Sie / für den Anderen wichtig?“
Handlung / Reaktion
Bewusst zu kommunizieren ist immer mit einer Absicht bzw. Erwartung an die Handlung oder Reaktion des/der Anderen verbunden.
- „Was für eine Reaktion haben Sie mit dem Gesagten oder Gezeigten erwartet? Was war Ihnen wichtig?“
- „Welche Reaktion hat der Andere gezeigt – was könnte ihm wichtig gewesen sein?“
Emotionen / Gefühle
Emotionen sind an jeder Kommunikation beteiligt. Begegnet der eine der Situation mit Freude, kann der andere ihr ängstlich überrascht begegnen. Eine Emotion ist somit auch eine Reaktion und beeinflusst die Erwartungen.
Kulturell macht es oft einen großen Unterschied, ob Emotionen gezeigt werden dürfen oder nicht (Konvention). Auch in Kulturen, in denen das kein Problem ist, gibt es individuelle Vorlieben, die wiederum auch von der Situation abhängen. Insofern kann dem einen wichtig sein, Emotionen zu zeigen, dem anderen ist es wichtig, seine Emotionen nicht bewusst zu zeigen.
- „Wie haben Sie sich (vor/während/danach gefühlt, wie könnte der Andere sich gefühlt haben?“
- „Wie könnte das Ihre Wahrnehmung beeinflusst haben?“
- „Was war Ihnen in Bezug auf Emotionen wichtig – was den/dem Anderen?“
Hinweis: Fachlich gibt es einen Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen. Umgangssprachlich findet das keine Berücksichtigung. Im Sinne des handwerklichen Nutzens wurde auf die Unterscheidung verzichtet.
Beziehung
Im Kern geht es um den kontextbezogenen Austausch von Werten und die Orientierung an gemeinsamen Werten, so dass letzten Endes bei jedem Beteiligten eine konstruktivistische Bewertung der Qualität der Beziehung möglich ist. Insofern ist „Beziehung“ ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Kommunikation.
Teil von Beziehungen können Abhängigkeiten sein. Abhängigkeiten sind ein wesentlicher Bestandteil von Konflikten. Sie schränken den kommunikativen Aktionsraum ein, da der Andere aus einem bestimmten Grund für etwas wichtig ist. Das kann im Team so sein, wo die Zuarbeit des Anderen benötigt wird, um selber weiter zu machen, es gibt auch Abhängigkeiten finanzieller, gesetzlicher, emotionaler Natur u.v.m.. Als Mitarbeiter eines Unternehmens definiert auch der Arbeitsvertrag eine grundsätzliche Abhängigkeit.
Eine Möglichkeit, der Begrenzung des kommunikativen Aktionsraums zu begegnen, ist es, die Abhängigkeit aufzulösen.
- „In welcher Beziehung stehen Sie zueinander? – Wie würde der Andere antworten?“
- „Was ist Ihnen in Bezug auf die Beziehung zueinander wichtig – was vielleicht dem Anderen?“
- „Stehen Sie in einer Abhängigkeit voneinander?“ (JA) „Worin liegt die Abhängigkeit?“
- „Wie findet die (beschriebene) Abhängigkeit Berücksichtigung in Ihrem Kommunikationsverhalten – wie vielleicht beim anderen?“
Andere / Dritte
Andere/Dritte, die Teil der eigenen (sozialen) Kontexte sind können Ansprüche oder Erwartungen haben, die in der Kommunikation (im kommunikativen Verhalten) berücksichtigenswert sind.
In Kommunikationssituationen, in denen eine emotionale Anspannung herrscht, kann der systemische Blick auf das Umfeld eingeschränkt sein. Reaktionen anderer und deren Folgen können nur ungenügend wahrgenommen und antizipiert werden. Beispielsweise kann es in einem Meeting passieren, dass ein Teilnehmer gemaßregelt wird. Dieser Teilnehmer empfindet seine Maßregelung als angemessen. Augenscheinlich ist alles in Ordnung. Andere, die das Verhalten beider Parteien beobachteten haben das Wahrgenommene konstruktivistisch interpretiert. Hier besteht die Möglichkeit, dass die Maßregelung und die Art und Weise der Maßregelung keinen Beifall findet. Mit dieser Reaktion treten die „Anderen“ wiederum in Interaktion zum Maßregelnden und beeinflussen so die Kommunikationssituation.
- „Gibt es Ansprüche/Interesse/Bedürfnisse von Anderen oder Dritten, die berücksichtigt werden sollten?“
- „Wer hat welche Interessen?“
- „Wie würde die andere Partei diese Frage beantworten?“
- „Wie könnten Unbeteiligte Ihre Kommunikation Interpretieren?“
Konventionen
Eine Konvention bedeutet, dass die Einhaltung der Übereinkunft kontrolliert wird. Das kann auch durch Dritte/Andere geschehen. Eine Abweichung von der Konvention beinhaltet damit auch eine Sanktion (Folgen). Anderenfalls würde die Konvention als solche entwertet.
- „Gibt es Konventionen, die zu berücksichtigen sind?“
- „Wie würde der Andere antworten?“
- „Wie wird eine Abweichung von den Konventionen sanktioniert?“
Folgen
- „Welche Bedeutung hat die Beschäftigung mit den Folgen kommunikativer Handlungen für Sie?“
- „Welche vielleicht für den anderen?“
Zeit
- „Wieviel Zeit steht oder stand Ihnen zur Verfügung?“
- „Wie haben Sie, wie vielleicht der Andere das empfunden?“
Interaktionsmodi / kommunikativer Werteaustausch
Es besteht die Möglichkeit, dass sich durch wiederholt als erfolgreich erlebtes Verhalten in der Kommunikation Muster herausbilden. In der Regel werden diese Muster erst interessant, wenn sie nicht mehr funktionieren. Dann gilt es, sie kontextbezogen zu reflektieren.
Doch auch Gesprächsstrategien, die Anwendung bestimmter Gesprächstechniken, die Auswahl bestimmter Kommunikationsmedien zählen zu den Interaktionsmodi des Modells.
Die Interaktionsmodi werden entscheidend durch die sprachlichen Möglichkeiten Sender/Empfänger beeinflusst.